5 Irre

5 Irre

»Ich zieh die Irren einfach an.« Meine Tasche landet in einer Ecke, die Jacke in einer anderen.

»Du ziehst die Irren nicht an«, sagt Lu und trägt unbeeindruckt ihr Glas und eine Flasche Rotwein an mir vorbei ins Wohnzimmer. Der Fernseher läuft, n-tv.

»Ach so, dann ist ja gut.«

*

»Du begegnest nicht mehr Irren als jeder andere auch. Die Welt ist voll davon«, sagt Lu, nachdem die Nachrichten vorbei sind. »Der Punkt ist: du hörst ihnen zu.«

Mit den kurzen, von Grau durchzogenen Haaren und ihrer Vorliebe für Orange erinnert Lu an eine buddhistische Nonne. Eine buddhistische Nonne mit Iron-Maiden-T-Shirt.

»Hä?«

»Kein Mensch hört zu. Man erfasst die Fakten, meistens, oder versucht, einen Überblick zu bekommen – gerade so weit, bis man glaubt zu wissen, worum es geht. Aber kein Mensch hört zu. Und den Irren schon gar nicht.«

»Keiner?«

»Außer dir.«

»Oh bitte …«

»Pass auf. Als ich dich in Frankfurt besucht habe vor drei Monaten. Vier? Unwichtig. Da haben wir die ehemalige Klassenkameradin meines Bruders getroffen.«

»Stimmt.«

»Ihr Baby lag im Krankenhaus.«

»Ja. Herzin- …«

Lu unterbricht mich: »Wie war der Name des Babys?«

»Elly. Mit y.«

»Noch Fragen?«

»Zufall.«

»Ach?«

*

»Also sollte ich es mir abgewöhnen? Das Zuhören?« Wir sind bei der zweiten Flasche Wein.

»Vergiss es. Das ist, als würde man versuchen, nicht mehr ängstlich zu sein. Oder aufbrausend. Oder phlegmatisch.«

»Na toll. Und was …?«

»Rede.«

»Hä?«

»Solange du redest, kannst du nicht zuhören.«

»Ich soll erzählen?«

»Ja.«

»Wovon?«

»Davon. Von allem. Von nichts. Egal.«

»Und wenn das niemand hören will?«

»Wie gesagt: es hört eh keiner zu.«

Also erzähle ich.

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